Mein Name ist Lucia Matzke aka Sista Tide und ich bin Krumptänzerin und Tanzvermittlerin. 2022 habe ich ein Jahr lang mit Aktion Tanz e.V. als sogenannte associated artist im Rahmen des Projektes „RECONNECT PARTICIPATIVE DANCE – CONNECTING COMMUNITIES“ zusammengearbeitet. In diesem Kontext habe ich u.a. Kurztexte über meine Arbeit und meinen Bezug zur Krump Kultur geschrieben. Dieser Text soll sich der Frage widmen, wie es ist, als Frau Teil einer Tanzkultur zu sein, die größtenteils aus männlichen Mitgliedern besteht. Eine große Frage, über die man sicherlich auch eine Doktorarbeit schreiben könnte. Da ich diesbezüglich nicht nur meine Perspektive schildern möchte, habe ich meine Tanzkollegin und Freundin Dicko Andrea Din interviewt. Gemeinsam haben wir uns ausgetauscht, was es für uns bedeutet, in der männerdominierten Krumpwelt zu sein, welche Erfahrungen wir damit verbinden und wo wir Veränderungen wahrnehmen.
Die Schilderungen sind natürlich subjektiv und können daher nicht als repräsentativ für die gesamte Krumpwelt stehen. Bevor ich aber nun ins Detail gehe, ein kleiner Überblick über das was Krump überhaupt ist.
Krump ist eine Kultur, ein Lifestyle – „Krump is life“
Anfang der 2000er schlossen sich ehemalige Clown-Tänzer*innenzusammen und erschufen Krump. Sie suchten nach Ausdrucksmöglichkeiten, einem Tool für das Verarbeiten und Gefühlen und Erfahrungen sowie nach Halt. Krump ist daher nicht nur ein Ausdruckstanz, sondern für Viele, die auch heute Teil der Kultur sind ein wichtiger Bestandteil ihres Lebens. Sie finden hier Halt und Unterstützung von anderen Tänzer*innen und erleben durch den Tanz ein Gefühl der Selbstermächtigung. Wer mehr darüber lesen will, kann gerne meinen letzten Blogeintrag lesen.
Damals als Krump entstand waren die aktiven Mitglieder der Kultur überwiegend junge Männer. Es gab zwar auch Tänzerinnen, wie bspw. Miss Prissy, eine der Begründer*innen von Krump, aber im Verhältnis waren es viel weniger Frauen als Männer. Auch heute sind es nach wie vor mehr Männer, aber die Anzahl der Frauen in der Szene ist deutlich gewachsen und wächst weiter. Welche Rolle spielen die Krump Tänzerinnen in der Szene?
Ist Krump eine maskuline Art sich zu bewegen?
Auf den ersten Blick wirkt Krump hart und aggressiv und viele würden die Bewegungen als eher typisch männliche Bewegungen einordnen. Das schreckt manche Frauen und junge Mädchen oft erstmal ab. Und trotzdem sind Viele fasziniert von der Art und Weise, wie Krumper*innen sich bewegen: So stark und authentisch. In Krump-Sprache würden wir „raw“; „real“ und „buck“ sagen. Wie auch die anderen, die heute Krump tanzen, haben Dicko und ich Krump gesehen und dachten „Das will ich auch“. Trotzdem war es erstmal eine Überwindung. Dicko beschreibt, wie sie das erste Mal zu einer Krumpklasse in der Flyingsteps Academy ging, nachdem sie Krump Tänzer in einem Film gesehen und Feuer gefangen hatte: „Erst habe ich mich nicht hin getraut – in den Videos sah ich immer nur diese großen breiten Männer, bzw. größtenteils nur Männer. Vollgepackte Arme, Muskeln, in den Schritt greifen etc. Ich war da gerade 16 Jahre alt, also mitten in der Pubertät, und wollte dann auch so tanzen, das war erstmal ein komisches Gefühl. Beim 2. Anlauf habe ich mich dann hin getraut und seitdem bin ich am Ball. Aber im Kurs selbst war es dann sehr entspannt, da es ein Anfänger* Kurs mit vielen Mädchen war und der Lehrer, Pao aka Paniq, ja auch sehr entspannt ist.“
Ich habe das ähnlich erlebt und auch heute, wenn ich selbst Workshops anleite, bekomme ich oft Feedback- insbesondere von Frauen, die erstmal etwas abgeschreckt sind, bzw. daran zweifeln, dass diese Art sich zu bewegen, auch für sie „als Frau“ passen könnte. Der Wendepunkt kommt dann meistens, wenn sie die Bewegungen nicht nur von außen betrachten, sondern selbst spüren. Auf einmal erleben sie am eigenen Leib, dass die vermeintlich männlichen Bewegungen ein Gefühl der Stärke und Selbstermächtigung (empowerment) in ihnen auslösen und das fühlt sich gut an. Auch als Frau.
Ich war letztes Jahr in einem Krump-Tanztheater Stück „A Human Race“ von Grichka Caruge. In einer anschließenden Q&A Runde teilte ein Zuschauer seine zunehmende innere Abneigung gegen die Darstellung, da er der Meinung war, dass ausschließlich männliche Formen der Gefühlsausdrücke gezeigt wurden und selbst die beiden Krump Tänzerinnen hätten männliche Wut präsentiert. Der Großteil des Publikums widersprach und stellte ihm die Rückfrage, was seiner Meinung nach denn weibliche Wut sei oder wie diese auszusehen habe. Ich möchte hiermit nicht behaupten es gäbe keine männliche oder weibliche Energie oder Art sich zu bewegen. Natürlich gibt es das, aber das bedeutet nicht, dass nicht auch Frauen sich vermeintlich männlich bewegen könnten oder umgekehrt. So ein Feedback kommt meistens von Personen, die nur einen oberflächlichen Eindruck von Krump haben und sich direkt eine Meinung bilden.
Ich glaube, jede*r trägt beides in sich (weibliche und männliche Energie/ Art sich zu bewegen) und es kommt auf dich an, was du davon annimmst und was nicht. Krump gibt dafür den Freiraum, denn in Krump kannst du nicht nur so tun als ob. Du musst die Bewegungen aus einer inneren Überzeugung herausmachen, um authentisch und „real“ zu sein. Wie du dich bewegen willst, kannst du nur durchs Ausprobieren herausfinden.
Dennoch gibt es innerhalb der Krump Welt andere Situationen, in denen es zu Konflikten kommt, die Frauen ggf. anders gelöst hätten, als einige der Männer in der Krump-Szene.
Beef und Kräftemessen
Beef ist definitiv ein Teil der Krump-Kultur und beef zu haben bedeutet so viel wie Stress oder eine Auseinandersetzung mit jemanden zu haben. Häufig geht es um Szenen interne Sachen, z.B. entsteht beef, wenn der einer den anderen schlechtmacht und behauptet er sei nicht „real“ oder sein Krump sei „whack“ (also schlecht/schwach). „Dann fühlt sich einer angegriffen und hat das Gefühl, er müsse sich verteidigen. Und diese Situationen gingen eigentlich immer von den Männern aus. Ich kann mich an keine Situation erinnern, wo sowas von einer Frau ausging- also wo eine Frau auf beef aus war.“, beschreibt Dicko eine typische beef-Situation, „Und ich kann dir nicht sagen, ob es daran liegt, dass Frauen eher ihre Meinung für sich behalten, selbst wenn sie sowas auch denken, oder ob Frauen überwiegend einfach Krump komplett anders sehen.“
Ich sehe das ähnlich: Nicht selten hatte ich eine Konfrontation mit einem männlichen Mitglied aus der Krump Szene, wo es darum ging, dass jemand beef anzettelte und mir dann gesagt wurde, ich müsse es tänzerisch in einem Battle klären. Wenn ich mich sträubte, kamen Kommentare, wie: „Das ist aber Teil der Krump-Kultur“ oder „Du musst das lernen, um Krump richtig zu verstehen und zu leben“. Und ja, ich stimme zu, dass das Sich-battlen ein essenzieller Teil der Krump Kultur ist, aber in manchen Situationen finde ich es wichtiger, dass Konflikte in einem Gespräch geklärt werden.
Das ist dann ein Moment, in dem ich in meiner Rolle als Frau mit anderen Vorstellungen an meine Grenzen komme und mir die Frage stelle: Bis wohin muss ich gewisse Praktiken als Teil der Kultur genauso reproduzieren und mitmachen und inwieweit kann ich mir und meiner eigenen Sichtweise treu bleiben? Basiert dieser Konflikt tatsächlich auf dem Unterschied zwischen einer „weiblichen“ und „männlichen“ Art, Konflikte auszutragen?
Frauen untereinander in der Krump-Szene
Dicko ist Teil der Aura Fam und repräsentiert den Namen Girl Aura. Die Aura Fam ist eine reine Frauen Fam- also Familie in der Krump Welt, was so viel bedeutet wie eine Gruppe, die zusammen trainiert, aber sich darüber hinaus auch austauscht, prägt und zusammenhält. Auf meine Frage, inwiefern es ihr hilft, sich regelmäßig mit anderen Frauen in der Szene auszutauschen, entgegnet mir Dicko Folgendes: „Es hilft mir schon, dass ich innerhalb der Männer dominierten Krumpwelt so viele Frauen um mich herumhabe. Es kommt häufiger vor, dass mir, oder anderen Frauen gesagt wird, dass wir die Krump Kultur nicht richtig verstehen würden, oder dass man nicht stark genug für Krump sei. Aber das bezieht sich dann nur auf deren Interpretation von Krump. Denn wenn ich mich, vor allem mit anderen Frauen austausche, die selbst auch ein fester Bestandteil der Szene sind, dann haben die wieder ähnliche Ansichten und ein ähnliches Krumpverständnis wie ich. Und dann denke ich mir, ich muss nicht so und so sein, ich muss mich nicht ständig behaupten, oder jemanden aus der Session schubsen, ich kann es auch ein bisschen ruhiger angehen. Ich kann auch mal emotionaler an die Sache rangehen und muss nicht immer strategisch sein. Wenn mich beispielweise was berührt, muss ich das nicht zwingend in einem Battle klären. Konflikte können auch von Mensch zu Mensch geklärt werden und nicht immer nur Alphawolf gegen Alphawolf. […] Krump kann bei Konflikten nur bis zu einem bestimmten Grad helfen und dann muss man halt einfach miteinander reden. Im Endeffekt geht es im Tanz dann eher um die Skills. […] Dann ist das Battle vorbei, eine*r hat gewonnen und was klärt das jetzt? […] Das ist die andere Seite der Medaille. ‚Krump is life‘, aber manchen steigt das dann zu Kopf.“
Battles, Events und Kategorien
Neben den Battles, die jederzeit zwischen zwei Tänzer*innen stattfinden können, gibt es große und kleine Krump-Turniere, in denen sich Krumper*innen aus aller Welt treffen, um gegeneinander anzutreten. Gerade bei größeren Events gibt es verschiedene Kategorien. Häufig wird wie folgt unterteilt: „Junior“; „Female“ „Male“.
Also gerade hier wird deutlich, dass dieses Kategorie Denken definitiv noch eine Rolle spielt.
Wieso das so getrennt wird weiß keiner so genau. Dicko’s Kommentar dazu: „Ich finde das generell nicer, wenn es gemischt ist. Ich verstehe nicht, warum das so getrennt wird. Andererseits, wenn ich mir Videos von früher anschaue, sehe ich, dass die Krump Tänzerinnen damals oft ein schlechteres technisches Level hatten, als die Krump Tänzer, aber heute ist das nicht mehr so. Heutzutage könnten einige Mädels die Dudes im Turnier schlagen. Ich kann mir vorstellen, dass es damals so getrennt wurde, um den Tänzerinnen eine Plattform zu geben, da sie auch in der Unterzahl waren und dass das nun einfach beibehalten wurde.“
Inzwischen gibt es auch einige, die das hinterfragen und gerade bei kleineren Battles gibt es andere Kategorien, wie zum Beispiel in „Anfänger*innen“ und „Fortgeschrittene“, die Männer und Frauen somit mischen. Leider kommt es manchmal zu zwar gut gemeinten, aber in ihrer Wirkung sexistischen Kommentaren, wie zum Beispiel in dieser Situation:
Was ich immer komisch finde ist, wenn der Host[Moderator] bei einem Event sagt: ‚Make some noise fort he Ladies‘- Wieso denken die, dass wir ein special shoutout brauchen?
Oder wenn eine Tänzerin eine gute Runde getanzt hat und dann wird sowas gesagt, spielt das ihre Leistung eher wieder runter und ich würde dann am liebsten das Mikrophon nehmen und rufen“ Yeah and make some noise fort he guys,too.“- es reicht zu sagen: ‚Deine Runde war krass‘ Und es ist unnötig zu sagen ‚Deine Runde war krass, wenn man bedenkt, dass du eine Frau bist‘“
Solche Kommentare wie Dicko beschreibt sind wie bereits gesagt, meistens ja gar nicht böse gemeint. Gerade viele Männer in der Szene begrüßen es sehr, dass immer mehr Mädchen und Frauen sich für Krump interessieren und die Community erweitern. In so einer diversen Community, wie es sie in Krump gibt, ist es normal, dass es immer wieder Reibungspunkte gibt und Dinge neu ausgehandelt werden müssen. Dicko’s Rezept hierfür ist wie folgt:
Wenn ich einer anderen Meinung bin, dann respektiere ich die Meinung zwar, aber nehme sie nicht ein. Wenn es aber ein Rat ist, der mich persönlich fordert, oder weiterbringen kann, obwohl ich dafür vielleicht was machen muss, das ich nicht machen will, nehme ich mir das zu Herzen. Die reine Erfahrung bedeutet für mich nicht, dass diese Person immer recht hat.