Es braucht ein ganzes Dorf…hybrides Symposium zu Tanz in ländlichen Räumen
Veranstaltet von Aktion Tanz | TanzSzene Baden-Württemberg
Fachstelle Tanz MV | Tanzregion Vorpommern e.V.
Am 7. und 8. Mai 2021 fand das hybride Symposium ‚Es braucht ein ganzes Dorf… Tanz in ländlichen Räumen‘ statt. An der zweitägigen Veranstaltung mit verschiedenen Paneldiskussionen, Videopräsentationen, Arbeitsgruppen und Workshops beteiligten sich insgesamt 120 Teilnehmer:innen, überwiegend aus dem deutschsprachigen Raum. Die Veranstaltungsorte waren Stralsund, Mecklenburg-Vorpommern und Lahr, Baden-Württemberg, die meisten Teilnehmer:innen waren aufgrund der Corona-Restriktionen digital dabei.
Die Veranstalter hatten Tanzschaffende und -interessierte sowie Vertreter:innen aus Kultur, Bildung, Politik und Verwaltung eingeladen, um gemeinsam grundsätzlichen Fragen nachzugehen: Wodurch kann das Interesse am zeitgenössischen Tanz in ländlichen Regionen geweckt werden? Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, um ländliche Räume auch für Tanzkünstler:innen und -vermittler:innen attraktiv zu machen? Welche Strukturen brauchen kulturelle Organisationen im ländlichen Raum, um ihre bestehenden Aktivitäten zu verstetigen?
Zahlreiche Best Practice-Beispiele in Form von Videos, Lectures und Gesprächen gaben Einblicke in die Arbeit mit Tanz und Tanzvermittlung in ländlichen Räumen innerhalb verschiedener Regionen und Länder. Hybride Gesprächs- und Workshop-Formate brachten die in Stralsund und Lahr versammelten Kleingruppen mit den digitalen Teilnehmer:innen zusammen. Die Möglichkeiten zur hybriden Begegnung erwiesen sich dabei als zukunftsweisend für den ländlichen Raum.
Das Programm zum Symposium finden Sie nochmals hier.
Paneldiskussion ‚Wie kommt der Tanz in die Fläche?’ vom 07.05.2021
„Es gibt immer noch viele Vorurteile – auf dem Dorf, aber auch in den Städten.
Häufig meinen Tanzschaffenden aus urbanen Kontexten, Tanz auf dem Land sei weniger professionell, weniger innovativ, weniger interessant – das sind einfach Vorurteile, die man durch das, was man macht, auflöst – aber das dauert.“
– Chrystall Schüttler –
„Es ist gut, den Jugendlichen außerhalb von Tik Tok und Youtube etwas bieten zu können.“
– Ann Christin Schubert –
ZUSAMMENFASSUNG:
Die erste Paneldiskussion, moderiert von der Journalistin Petra Mostbacher-Dix, widmet sich der Ausgangsfrage ‚Wie kommt der Tanz in die Fläche?’. Vorgestellt und aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet werden erfolgreiche Projekte wie ‚Tanz in der Fläche’, initiiert von der TanzSzene BW sowie Neugründungen von Tanzorten in ländlichen Regionen, die aus der Motivation entstanden sind, Tanz vor Ort und nicht nur in urbanen Räumen sehen und erleben zu können. Thematisiert werden u.a. immer noch existierende Vorurteile, Tanz auf dem Land sei wenig professionell, innovativ und interessant, der mitunter schwierige Aufbau von Tanzpublika sowie die Bedeutung von Beziehungsarbeit für die Gestaltung von Tanzangeboten in ländlichen Regionen, für die die Akteur:innen vor Ort ausgesprochen wichtig seien. Als Voraussetzungen für die Nachhaltigkeit von Tanzprojekten und -initiativen in ländlichen Regionen wird vor allem der Politik eine besondere Rolle zugewiesen: Teilhabe entstehe nicht erst, wenn die Kunst schon vor Ort sei; der Austausch zwischen den verschiedenen Interessensgruppen wie Künstler:innen, Bürger:innen und Politiker:innen müsse viel früher beginnen.
mit
Pascal Sangl (freischaffender Choreograf & Tanzvermittler)
Andrea Gern (Geschäftsführerin / TanzSzene BW)
Crystal Schüttler (Choreografin & Tanzvermittlerin / Semilla – Schule für Tanz, Performance und Yoga, Mühlhausen)
Ann Christin Schubert (Schulsozialarbeiterin / Jugendzentrum E.GO Ehingen)
Brigitte Aurbach (Vorstand Rätschenmühle e.V., Geislingen)
Finn Hucker (ehemaliger Tänzer vom Tanztheaterprojekt‚ Tanz in der Fläche Jukebox 3.0‘ Ehingen)
Moderation: Petra Mostbacher-Dix (Journalistin)
Paneldiskussion ‚Wie kommt der Tanz zur Schulklasse und / oder die Schulklasse zum Tanz?’ vom 07.05.2021
„Wir hätten uns nie dafür entschieden, Tanz an der eigenen Schule zu machen, wenn wir nicht geglaubt hätten, dass das eine enorme Wirkung hat.“
– Monika Morawietz –
„Durch Tanz ändert sich das soziale Gefüge der Gruppe.“
– Dörte Baehr –
ZUSAMMENFASSUNG:
Die zweite Paneldiskussion, moderiert von der Journalistin Juliane Voigt, beleuchtet die Arbeit des Vereins Perform[d]ance mit und für Schulen aus verschiedenen Perspektiven: Tanzvermittler:innen berichten aus ihrem Alltag, in dem sie häufig weite Wege zu verschiedenen Schulen und Einrichtungen zurücklegen, Schüler:innen geben Einblicke in die herausfordernde und bereichernde Arbeit an großen schulischen Tanzprojekten, von Seiten der Schulleitung wird die eigene Motivation reflektiert, jährlich Tanzprojekte zu realisieren. Erklärt wird darüber hinaus die Entwicklung und das Konzept von international besetzten, professionell produzierten Klassenzimmerstücken sowie die Bedeutung von Vernetzung – mit Tanzschaffenden inner- und außerhalb des Bundeslandes sowie tanzfernen Akteur:innen vor Ort. Die Kulturverwaltung des Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern sieht den eigenen Handlungsspielraum in der Aktivierung, Ermöglichung und Verstetigung guter Ideen und Vorpommern als Modellregion für Tanz in Schulen. Denn hier wird das Ziel formuliert: Jedes Kind einmal mit Tanz in Berührung zu bringen.
mit
Stefan Hahn (Künstlerischer Leiter & Choreograf / Perform[d]ance)
Dörte Bähr (Choreografin & Tanzvermittlerin / Perform[d]ance)
Monika Morawietz (Schulleiterin / Freie Schule Rügen)
Katerina Schumacher (Referatsleiterin / Ministerium für Bildung, Wissenschaft & Kultur Mecklenburg-Vorpommern)
Finja Schulze-Gerlach, Oskar Krause (ehemalige Tänzer*innen Tanztheaterprojekt / Freie Schule Rügen)
Moderation: Juliane Voigt (Journalistin)
Zusammenfassung der Arbeitsgruppen und Abschlussdiskussion ‚Realitätscheck – Vom Modell zu nachhaltigen Strukturen’ vom 08.05.2021
„Lasst uns sichtbar werden für Menschen und damit auch für Politik und Ökonomie.“
– Stefan Hahn –
„Lasst die Bundespolitik nicht in ihrem UFO.“
– Caroline Meder –
ZUSAMMENFASSUNG:
Die Abschlussdiskussion, moderiert von Michael Freundt, wird von den Zusammenfassungen der drei vorangegangenen Arbeitsgruppen eingeleitet und unterzieht anschließend Ideen, Wünsche und Forderungen der Tanzschaffenden einem Realitätscheck. Von Seiten der Politik wird konstatiert: Kultur gehöre eigentlich zur Daseinsvorsorge, doch viele Kommunen seien zu arm, um sie auch real leisten zu können. Von verschiedenen Seiten wird die Einrichtung von Regionalfonds thematisiert, aber auch gefordert, den Bund stärker finanziell in die Pflicht nehmen, um Kultur auch in ländlichen Regionen sichern zu können. Gesprochen wird außerdem über die Aufgabe von Regionalmanager:innen, über drohende Sparmaßnahmen, die auch und vor allem Kultur in ländlichen Regionen betreffen würde, über verschiedene Förderprogramme, mit denen Tanz in ländliche Regionen gebracht werden kann sowie über die Ausstrahlung der Kultur in politische Entscheidungsebenen sowie das Alltagsleben von Bürger:innen in ländlichen Gebieten.
mit
Martina Kessel (Aktion Tanz – Bundesverband Tanz in Bildung und Gesellschaft e.V.)
Karin Kirchhoff (Tanzland – Programm für Gastspielkooperationen Kulturstiftung des Bundes)
Caroline Meder (Referentin der Bundestagsfraktion Bündnis 90/ Die Grünen)
Stefan Hahn (Künstlerischer Leiter & Choreograf / Perform[d]ance),
im Video: Patrick Dahlemann (Staatssekretär für Vorpommern)
Moderation: Michael Freundt (Dachverband Tanz Deutschland)
Auf der ‚Reise in ländliche Räume in sechs Stationen’ stellten sechs Künstler*innen ihre Organisationen und ihre Arbeit in verschiedenen ländlichen Regionen und Ländern vor.
UMtanz – Uckermark, Brandenburg
Geleitet von der Choreografin Yeri Anarika, entwickelt das Umtanz-Team in Templin und der brandenburgischen Umgebung Tanzprojekte für und mit Menschen aller Altersklassen vor Ort – angepasst an deren Bedürfnisse.
Loitz inTakt!– Mecklenburg- Vorpommern
Loitz inTakt! ist ein partizipatives Tanzprojekt der Zukunftsstadt Peenetal-Loitz 2030+ in Mecklenburg-Vorpommern, in dem die künstlerische Leiterin Silke Lenz mit nicht-professionellen Tänzer:innen Choreografin erarbeitet.
SZENE 2WEI – Lahr, Baden-Württemberg
Unter der Leitung von William Sánchez H., Timo Gmeiner verbindet das mixed-abled Ensemble der SZENE 2WEI in Lahr, Baden-Württemberg künstlerische Arbeit und Vermittlungsworkshops.
Lawine Torrèn – Moosdorf, Österreich
Unter der Leitung von Hubert Lepka kreiert das Künstler:innennetzwerk Lawine Torrèn mit Sitz in Moosdorf, Österreich Performances, die sich radikal von herkömmlichen Bühnenarbeiten unterscheiden – und häufig in sehr großen, realen Räumen und Landschaften stattfinden.
Culture Mill – Saxapahaw, North Carolina, USA
Unter der künstlerischen Leitung von Murielle Elizeon & Tommy Noonan verbinden sich in der Initiative Culture Mill immersives Kunstschaffen, Künstlerresidenzen und Bildungsarbeit – im ländlichen Raum North Carolinas.
Ponderosa – Stolzenhagen, Brandenburg
Mit Ponderosa hat Tänzerin und Choreografin Stephanie Maher in Stolzenhagen, Brandenburg zusammen mit langjährigen Weggefährt:innen einen kreativen Ort geschaffen, an dem sich Tanz, Choreografie, Natur, Improvisation und Gemeinschaftsleben verbinden.
Das sich an das Symposium ‚Es braucht ein ganzes Dorf… Tanz in ländlichen Räumen‘ anschließende Mentoring-Programm gab interessierten Tanzschaffenden die Möglichkeit, die Arbeit verschiedener Organisationen sowie Tanzkünstler:innen und -vermittler:innen kennenzulernen. Yeri Anarika/UMtanz (Uckermark, Brandenburg), Ponderosa (Stolzenhagen, Brandenburg) Hubert Lepka/Lawine Torrèn (Moodorf, Österreich), Perform[d]ance (Stralsund, Mecklenburg-Vorpommern) und Pascal Sangl (Region Stuttgart, Baden-Württemberg) waren für einige Tage gastgebende Mentor:innen für Künstler:innen, Vermittler:innen, Studierende und Lehrende mit Bezug zum Tanz. Sie alle boten ihren Gästen die Möglichkeit, die jeweils spezifischen Arbeitsweisen, Infrastrukturen, Teams und teilweise auch das Publikum kennenzulernen.
Dabei erwies sich – neben vertiefenden Gesprächen – das Vor-Ort-Erlebnis als entscheidend für die Entdeckung und das Verständnis der künstlerischen Zugänge und Wirkungsfelder von Tanz in ländlichen Regionen. Zusammen mit ihren Mentor:innen haben die Mentees in ländlichen Regionen noch unerschlossene Räume und Orte für den Tanz besichtigt, lange Fahrtwege mitgemacht, um zu Schulen an verschiedenen Insel-Ortschaften zu gelangen, an Wandertheater-Proben auf 1900 Meter Höhe teilgenommen oder in Streetdance-Trainingstunden hospitiert. Im Mittelpunkt des Austauschs stand u.a. die Übertragbarkeit der Erfahrungen auf den Wirkungskreis der Mentees sowie ein offener und ehrlicher Umgang mit unterschiedlichen Hürden und Freuden des Tanzschaffens in ländlichen Räumen.
Alle Beteiligten haben kurze, aber intensive Zeiten und Begegnungen erlebt, in denen es nicht nur um Informationsweitergabe und Wissentransfer ging, sondern auch neue Vernetzungsmöglichkeiten entstanden sind. Sich gegenseitig anstecken zu können mit dem eigenen Engagement für Tanz in ländlichen Räumen – ist eine von vielen Erkenntnissen dieses Mentoring-Programms.
Gefördert vom Fonds Darstellende Künste aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien | Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur Mecklenburg-Vorpommern | Vorpommern-Fonds