Gefährdung
Eine Kindeswohlgefährdung liegt vor, wenn eine erhebliche Schädigung des körperlichen, geistigen oder seelischen Wohls eines Kindes droht oder bereits eingetreten ist. Sexualisierte Gewalt ist nur eine Form der Kindeswohlgefährdung. Vernachlässigung sowie psychische und körperliche Misshandlungen stellen weitere Formen dar.
Mit all diesen Aspekten kann man im Kontext seiner Tätigkeit mit Kindern und Jugendlichen konfrontiert sein, so dass auch diese Formen in die Beschäftigung mit dem Themenfeld Kinderschutz einfließen sollten. Die Zahl der in Deutschland erfassten Fälle von Kindeswohlgefährdung nimmt stetig zu und lag 2023 lt. Statistischem Bundesamt bei mindestens 64.000. In den meisten Fällen bestand die Gefährdung durch Vernachlässigung (58%), gefolgt von psychischer Gewalt (36 %), körperlicher Gewalt (27 %) und sexualisierter Gewalt (6 %).
Die Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs berichtet von über 16.000 durch die Polizei ausermittelten Fällen des sexuellen Kindesmissbrauchs. Hierbei handelt es sich um das sogenannte „Hellfeld“. Das Dunkelfeld wird weitaus größer eingeschätzt. Forschungen der vergangenen Jahre ergaben, dass etwa jede*r siebte bis achte Erwachsene in Deutschland als Kind oder Jugendliche*r sexuelle Gewalt erlebt hat. Insofern geht man davon aus, dass es in jeder Schulklasse ein bis zwei Schüler*innen gibt, die von sexueller Gewalt betroffen sind oder waren.
▶ Begriffserklärungen: Grenzverletzung, Übergriff, Gewalt
Um Situationen gut einschätzen und etwaige Konsequenzen angehen zu können, ist es wichtig, Hilfsgrößen zur Orientierung und ersten Einordnung zu haben. Hierbei hilft ein differenzierter Blick auf Situationen im Kontext der Begriffe Grenzverletzung, Übergriff und Gewalt.
Eine Grenzverletzung ist gekennzeichnet durch ein einmaliges unabsichtliches grenzüberschreitendes Verhalten. Es kann aus Unwissenheit oder aufgrund fehlender Wahrnehmung von Schamgrenzen geschehen. Es ist nicht machtintendiert oder sexuell ausgerichtet.
Übergriffe geschehen absichtlich und treten in der Regel wiederholt auf. Es ist die bewusste Missachtung von Grenzen – auch durch das Ignorieren von einem „Nein“ der anderen Person. Machtasymmetrien werden bewusst (strategisch und planvoll) oder unbewusst genutzt.
Von Gewalt spricht man, wenn alle Aspekte des Übergriffs gegeben sind und körperliche und/oder psychische Misshandlungen zu Verletzungen, Schmerzen und Scham und – im Falle sexueller Gewalt – zu einer radikalen Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung der anderen Person führen. Es handelt sich hierbei um einen Straftatbestand.
Diese Hilfsgrößen dienen der Orientierung. Situationen sind nicht immer auf den ersten Blick vollständig einordbar. Doch letztlich hat man Anhaltspunkte, die für die weitere Einschätzung und auch das eigene Verhalten hilfreich sind. Betritt eine Gruppenleitung z. B. einmalig aus Versehen die Umkleide, von der sie dachte, dass sie leer sei, sich aber noch zwei Teilnehmer*innen dort umziehen, dann ist dies eine Grenzverletzung. Findet dies wissentlich oder auch mehrfach statt, dann handelt es sich um einen Übergriff.
Täter*innenstrategien
Die Strategien von Täter*innen sind meist sehr effektiv und wirksam, so dass ein Aufdecken der Taten häufig verhindert wird. Täter*innen stammen aus allen sozialen Schichten, leben hetero- oder homosexuell und lassen sich durch kein einheitliches Profil ausmachen. 80-90 % der Täter sind männlich, 10 – 20 % sind weiblich. Man geht davon aus, dass sexueller Missbrauch durch Frauen seltener entdeckt wird, weil solche Taten Frauen weniger zugetraut werden.
Die Erfassung beruht auf einem gender-binären Ansatz und differenziert nicht weiter.
Täter*innen sind häufig Vertrauenspersonen und stammen aus dem nahen sozialen Umfeld der Kinder und Jugendlichen – aus dem Bekannten- und Freundeskreis der Eltern, Mitarbeiter*innen in Sport-, Freizeit- und Bildungseinrichtungen. In den meisten Fällen erleben Kinder und Jugendliche sexuelle Gewalt in der Kernfamilie, gefolgt vom sozialen Nahraum, zu dem z. B. der erweiterte Familien- und Bekanntenkreis, Nachbar*innen und Personen aus Einrichtungen und Vereinen, die die Kinder und Jugendlichen gut kennen, zählen.
Nähe und mögliche Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse werden von Täter*innen ausgenutzt. Häufig suchen sie bewusst Tätigkeitsfelder, in denen sie Kindern und Jugendlichen regelmäßig begegnen und so ein Vertrauens- und/oder Abhängigkeitsverhältnis aufbauen können. Sie handeln selten spontan und schaffen bewusst ein Machtungleichgewicht, um zu dominieren und Abhängigkeit herzustellen. Gleichzeitig geben sie häufig den betroffenen Kindern und Jugendlichen eine besondere Rolle und vermitteln ihnen das Gefühl, etwas ganz Besonderes zu sein. Man behandelt sie wie Gleichgestellte und macht sie zu Kompliz*innen, indem man unter Androhung von Konsequenzen (für sich oder das Kind) zur Geheimhaltung verpflichtet.
Diese Täter*innenstrategien machen Präventionsarbeit so wichtig.