K.R.U.M.P. – „You don’t choose Krump, but Krump finds you“ – Beitrag von Lucia Matzke
K.R.U.M.P.
Mein Name ist Lucia Matzke und ich bin Berliner Krumptänzerin und Tanzvermittlerin. Im Rahmen meiner Kooperation mit Aktion Tanz als associated artist möchte ich mit Euch Kurztexte teilen, die Eindrücke aus der Krump-Welt schildern und Euch mitnehmen in die weltweit verbreitete Krump-Kultur und dessen Geschichte. Aber was ist Krump überhaupt und wieso ist das relevant? Dieser Text ist der Geschichte und meinem persönlichen Bezug zu Krump gewidmet.
Krump ist ein sehr junger urbaner Tanzstil, der noch nicht sehr bekannt ist, aber bereits weltweit junge Menschen verbindet, die in Tanz ein Ventil, ein Ausdrucksmittel und eine Support-Struktur / Community gefunden haben, die ihnen hilft mit alltäglichen Lasten fertig zu werden.
Kingdom Radically Uplifted Mighty Praise – K.R.U.M.P.
Krump kommt von der Straße, genauer genommen aus L.A. und kann als eine Widerstandsbewegung angesehen werden. Etwa 2002 schlossen sich junge Tänzer:innen zusammen, die ein Ventil für die Emotionen suchten, die sich ansammeln, wenn man in einem von sozialer Ungleichheit, Gewalt und Rassismus geprägten Alltag aufwächst und erschufen gemeinsam einen neuen Stil: KRUMP.
Die Begründer*innen sind ehemalige Clown Tänzer:innen, die damals mit„Tommy the Clown“ durch die Nachbarschaft von L.A. zogen und die Menschen mit Tanzeinlagen unterhielten. Das Ziel von „Tommy the Clown“ war es, einen positiven Beitrag in seiner Community zu leisten und zugleich Jugendliche von der Straße zu holen, sie zu Clown-Tänzer:innen auszubilden und darüber hinaus in gewisser Weise auch eine Vater:rolle zu übernehmen und darauf Acht zu geben, dass seine Schützlinge (seine Lil Homies) nicht vom rechten Weg abkommen. Ein paar seiner Schützlinge, unter ihnen Tight Eyez, Big Mijo, Miss Prissy und Lil C, wollten aber mehr als nur zu unterhalten und zu performen. Sie strebten nach Ausdruck, einem Ventil, das ihnen half ihre alltäglichen Erfahrungen zu verarbeiten.
Weg von Entertainment, hin zu Krump. Der Dokumentarfilm „RIZE“, der 2005 veröffentlicht wurde, zeigt genau diese Dringlichkeit Raum für Ausdruck und Verarbeitung zu schaffen, die zur Entstehung von Krump führte.
„RIZE“ trug auch einen großen Teil dazu bei, dass Krump nach Europa kam. Fragt man die erste Generation von Krump Tänzer:innen in Europa, also die sogenannten O.G‘s Europas, wie sie zu Krump gekommen sind, wird mehr als die Hälfte antworten: „Ich habe XY getanzt / Ich habe Fußball gespielt… und dann habe ich RIZE gesehen und wollte das auch machen!“
„You don`t choose Krump, but Krump finds you”–
Ich weiß nicht mehr, wer das zu mir gesagt hat, aber fast alle, die ich kenne, die auch Krump tanzen, haben damit angefangen, weil sie sich plötzlich so gefühlt haben: „Ich wusste gar nicht, dass ich genau das gebraucht habe.“
Ich selbst gehöre der 4. Generation in Deutschland an und habe „RIZE“ erst viel später gesehen (für jede:n Krumper:in übrigens ein Muss). Etwa 2009 sah ich das erste Mal Krump Tänzer:innen in Berlin. Viele Tanzcrews bauten Krump-Elemente in ihre Shows ein und Krumper:innen nahmen an Tanzbattles teil und hinterließen einen bleibenden Eindruck. Zu dieser Zeit hatte Krump in Berlin eine aktive Hochphase.
Mir gefielen vor allem die Stärke und die Kraft, die den Krump-Bewegungen innewohnte. Schließlich besuchte ich einen Krump-Kurs in einer Tanzschule in Berlin-Kreuzberg. Euphorisch berichtete ich meiner älteren Schwester, die auch tanzte, wie das Drillen (eine Bewegung, wieder und wieder ausführen, um diese zu verinnerlichen) von Jabs Emotionen in mir freisetzte, von denen ich zuvor gar nicht wusste, dass diese in mir steckten. Unterdrückte, vermeintlich negative Gefühle, wie Aggressionen wurden freigesetzt und transformiert in die harten Faustschläge (Jabs), die wir drillten. Mit der Schließung der Tanzschule wurde auch mein Bezug zu Krump für die nächsten Jahre auf Eis gelegt. Erst Jahre später knüpfte ich über meinen HipHop Lehrer und Berliner Krumptänzer O.G. Prince MIK Ofori Kontakte zur aktiven Krump Community in Berlin und so eröffnete sich 2017 eine komplett neue Welt, die nun nicht mehr aus meinem Leben wegzudenken ist.
Dass Krump viel mehr ist als kraftvolle starke Bewegungen, wurde sehr schnell klar. Anders als ich es in dem damaligen Krump-Kurs erlebt hatte, sprach hier niemand von einer Choreografie. Krump ist ein Freestyle Tanz, ein Ausdrucksmittel für das, was Dich beschäftigt und im wahrsten Sinne des Wortes, für das, was Dich bewegt.
Krump hilft Dir dabei, Dich mit Dir selbst auseinanderzusetzen und verleiht Dir die Freiheit, deine ungefilterten Gefühle rauszulassen, die im Alltag oft unterdrückt werden.
Aber wie geht das? Wie schafft es Krump als Tanzpraxis an sich, den Tanzenden dabei zu helfen, einen eigenen Ausdruck und sich selbst durch den Tanz neu zu erleben? Das Gefühl von Befreiung, von „etwas rauslassen zu können“ hatte ich ja schon nach meiner ersten Krumpstunde, ohne den Tanz wirklich zu kennen und zu verstehen.
Die Betrachtung der Herkunft und Entstehungsgeschichte von Krump zeigen, dass genau dieser Befreiungsakt von äußeren (oft auch negativen) Einflüssen essenziell für Krump ist.
KRUMP BASICS
Viele der kennzeichnenden Bewegungen werden mit solch einer Härte und Explosivität ausgeführt, dass Krump auf den ersten Blick aggressiv erscheint. „Stomps“ beispielsweise erinnern an ein Aufstampfen, das mit Wut assoziiert werden könnte. „Jabs“ wiederum ähneln einem schnellen Faustschlag. Diese gewisse Härte, die dem Tanz innewohnt, ist sicherlich auf den Entstehungshintergrund zurückzuführen.
Krump wurde nicht dazu erschaffen, um Leute zu unterhalten oder Zuschauende zu beeindrucken. Krump war ein Akt der Selbstermächtigung (Empowerment) von Jugendlichen für Jugendliche, die aus schwierigen Lebensumständen und Erfahrungen etwas Positives schafften: TANZ.
SESSION
In einer Krump-Session geht es darum, über sich hinauszuwachsen. Die tanzende Person wird von den Umstehenden angefeuert. Durch diesen Hype kommt es zu einem intensiven Energie-Austausch, der es den Tanzenden ermöglicht, die eigenen körperlichen oder mentalen Grenzen zu überwinden. Der Hype ist nicht darauf reduziert, besonders krasse Moves durch das Anfeuern anzuerkennen, wie es in anderen urbanen Stilen üblich ist. Die Zuschauenden sind Teil des Dialogs. Die tanzende Person gibt etwas, das Publikum antwortet mit Hype und die Energie steigert sich so immer höher und höher. Den Höhepunkt in so einer Session-Runde nennt man Get-Off. Wie in einer Art Trance machen Krump Tänzer:innen hier Dinge, von denen sie selbst nicht glaubten, dazu fähig zu sein.
Dieser gegenseitige Support findet sich nicht nur in der Session, sondern geht darüber hinaus: Es ist eine soziopolitische Praxis, welche jungen Menschen auf der ganzen Welt eine familiäre Struktur* und einen Zufluchtsort bietet.
Ich schreibe hier ganz bewusst eine „familiäre Struktur“, da die Gruppen innerhalb von Krump tatsächlich als FAM`s bezeichnet werden. Mehr dazu sowie eine intensivere Auseinandersetzung damit, wieso Krump als eine empowernde Praxis angesehen werden kann, erfahrt ihr in den nächsten Texten.